Wenn wir am Ende nicht loslassen können

Wenn wir am Ende nicht loslassen können

Ich höre sehr oft, dass Menschen am Ende ihres Lebens stehen und den Wunsch zu sterben verspüren. Dies ist nur ein natürlicher Prozess. Dieser wird jedoch durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Zum einen ist das System unserer Schulmedizin dafür verantwortlich, dass Menschen länger leben als es unter anderen Umständen möglich wäre. Darüber muss man sich im Klaren sein. Dieser Prozess lässt sich jedoch verkürzen.

Denn ein sehr wichtiger Aspekt, warum es Menschen so schwer fällt, von dieser Welt zu gehen, ist das Loslassen! Wir suchen Zeit unseres Lebens nach Verbindung. Diese Verbindung wird vermeintlich beim Tod aufgelöst. Dies ist zwar eine Illusion, denn wir können jederzeit mit den Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Dennoch ist unsere Angst so groß, zu gehen bzw. einen Menschen gehen zu lassen.

Dies kennt jeder von uns. Während unseres Lebens sind wir in starker Verbindung mit anderen Menschen. Ob in der Herkunftsfamilie oder Partnerschaft, mit den eigenen Kindern, Freunden, Kollegen, Nachbarn, … - wir dürfen uns  immer wieder verabschieden, ein Stück weit loslassen und ohne den ein oder anderen weitergehen oder auf eine andere Art und Weise. Dies fällt dem einen leichter, andere haben es wiederum sehr schwer damit. Es ist abhängig von den Prägungen und Erfahrungen jedes einzelnen.

Wir befinden uns stetig im Wandel, und gleichzeitig wünschen wir uns Beständigkeit. Aber die einzige Beständigkeit, die wir haben, ist der Wandel (frei nach Heraklit von Ephesus)! Es ist aber nur natürlich, sich gegen diesen Prozess zu wehren. Denn wir alle haben Traumata erlitten, die uns mehr oder weniger in ein Sicherheitsnetz einhüllen. Veränderung ist für viele gleichbedeutend mit Tod.

Anstatt sich zu freuen, dass ein neuer Abschnitt beginnt und dass etwas Neues kommt und es im Falle des Todes aus meiner Sicht ein Wiedersehen mit den geliebten Menschen, die schon voraus gegangen sind, geben wird, wollen wir das Unvermeidliche vermeiden. Die Angst vor dem Tod ist gleichzeitig so groß und bedeutsam, weil er Unsicherheit bietet. Wir können nicht mit Gewissheit sagen, was für uns danach kommt. Wir können den Prozess auch nicht willentlich kontrollieren. Viele Menschen sind zudem sehr kirchlich geprägt, und es wirken alte Glaubenssätze von dem, was uns nach dem Tod erwartet. Große Ängste vor der Hölle oder Schuldgefühle, die dazu führen, sich gegen den Prozess des Lebens zu stellen, können wirken.

Doch was können wir jetzt tun, um uns nicht so ausgeliefert zu fühlen? Wir dürfen das Loslassen lernen und den Tod wieder in unsere Mitte holen! Wir können Vertrauen schaffen in uns selbst und in das Leben! Denn eins ist klar: In dem Moment, in dem ein Kind zur Welt kommt, ist sicher, dass dieses Menschlein eines Tages auch sterben wird! So hart und so traurig sich das auch anhört! Vom ersten Moment an dürfen wir das Loslassen lernen!
Vor allem Mütter haben diese große Kraft in sich. Denn ab dem Moment, in dem sie die Schwangerschaft entdecken, beginnt für sie der große Loslassprozess des Lebens - jeden Tag ein bisschen mehr! An manchen Stellen sogar sehr viel mehr wie bei der Geburt oder in der Situation, das Kind das erste Mal in fremde Hände zu geben, spätestens beim Auszug, bei der Hochzeit oder sogar beim Tod!

Wenn wir jetzt an Menschen denken, die scheinbar keine Kraft mehr zum Leben haben und vielleicht sogar sehr leiden, trotzdem aber nicht sterben, dürfen wir uns fragen, was noch offen geblieben ist. Warum kann dieser Mensch noch nicht gehen? Was oder wer hält ihn noch hier? Gibt es für ihn noch etwas zu lösen?

Aber nicht nur die eine Seite gilt es zu betrachten. Es ist vielmehr zu schauen, ob für die Menschen, die zurückbleiben werden, noch etwas zu klären ist. An welcher Stelle halten wir noch zu stark fest? Sind wir wirklich schon bereit, diesen Menschen gehen zu lassen? Haben wir Angst vor einer Zukunft ohne ihn? Haben wir Angst vor unserem eigenen Tod? Was hindert uns, durchs Leben zu fließen?

All das können wir klären, indem wir uns verbinden, hin spüren und uns erlauben, den Schmerz zu sehen und zu fühlen. Wir dürfen in Verbindung gehen, mit dem was war, ist und sein wird. Manches wird sich nicht mehr persönlich auf der irdischen Ebene mit dem Sterbenden lösen lassen. Aber es gibt Möglichkeiten, seinen eigenen Frieden zu finden mit allem, was ist, und damit Frieden für das eigene Umfeld zu schaffen. Und das alles Entscheidende: Was bleibt ist die Liebe!


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